Bürgerbeteiligung, Bürgerdialog, mehr Bürgerbeteiligung, frühe Bürgerbeteiligung: Die Begriffe verwirren. Jeder versteht etwas anderes darunter, je nach Standpunkt. Die BÜB+ hat bereits 2019 im Kommunalwahlkampf ganz klare Forderungen gestellt nach mehr Öffentlichkeit und mehr Bürgerbeteiligung. Der Versuch einer Einordnung.
Wenn Sie in die Suche hier im Blog den Begriff
"Bürgerbeteiligung" eingeben, werden Sie mindestens 20 Beiträge finden, die sich direkt oder indirekt damit befassen. Wenn Sie auf die Seite
"Unsere Ziele" klicken, finden Sie die Punkte Öffentlichkeit und Bürgerbeteiligung an allererster Stelle. Entsprechend setzen sich die BÜB+ und die drei Stadträte der BÜB+ konsequent für diese Bürgerrechte ein. Und wir unterstützen alle Bestrebungen von Bürgern, die mehr Bürgerbeteiligung einfordern. Getreu unserem Leitbild, dem Zitat des ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss:
„Die Gemeinde ist wichtiger als der Staat und das Wichtigste in der Gemeinde sind die Bürger.“
"Die Landesregierung macht Baden-Württemberg zum Musterland von lebendiger Demokratie und Bürgerbeteiligung. An unserer Demokratie sollen mehr Menschen teilhaben. Bürgerbeteiligung soll die Regel sein und nicht die Ausnahme."
Dieser Satz steht ganz zu Anfang einer Infoseite der Landesregierung. Baden-Württemberg hat als einziges Bundesland das Amt der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, das im Staatsministerium angesiedelt ist. Staatsrätin Gisela Erler ist Mitglied im Kabinett und hat die Anliegen der Zivilgesellschaft und die Stärkung der Bürgerbeteiligung im Blick.
Leider wird das in vielen Kommunen nicht so gelebt, auch nicht in Überlingen. Man zieht sich beispielsweise auf die gesetzlich geforderte "frühe Bürgerbeteiligung" bei Bebauungsplänen zurück, die man selbstverständlich einhält. Aber was bedeutet dieser eigentlich wohlklingende Begriff tatsächlich? Eben nur, dass man im Verfahren um einen bereits aufgestellten Bebauungsplan diesen offen legen muss, damit die Bürger Anregungen und Bedenken anbringen können. Also erst dann, wenn das Kind vielleicht längst in den Brunnen gefallen ist, wenn die grundsätzlichen Dinge bereits entschieden sind.
Das gipfelt dann auch mal so: Beim Bebauungsplan für die geplante Laserklinik Dr. Braun, die nicht nur von den direkten Anwohnern als maßlos überzogen und zu massiv gesehen wird, werden viele Bedenken und Anregungen von Bürgern eingereicht. Und wer prüft diese Eingaben dann, beantwortet sie? Man glaubt es kaum: Das vom Bauherren engagierte und bezahlte Planungsbüro! Wen wundert es da, dass alle Bedenken vom Tisch gewischt werden, einige lobende Zuschriften dagegen aber "dankbar" kommentiert werden? Das ist nicht das, was man sich unter der rechtlich verlangten "Abwägung" der Bedenken und Anregungen vorstellt!
"Bürgerdialog sei Verschwendung" von Steuergeldern, sagte im Sommer der Überlinger Baubürgermeister Längin, als es um eine echte Beteiligung der Bürger bei den Planungen in der Fischerhäuser Vorstadt ging.
Aus Sicht der Bürger ist eine frühe Bürgerbeteiligung ganz etwas anderes als eine reine Steuergeldverschwendung: Wie schon 2014 vom Gemeinderat beschlossen, dann aber vollkommen vergessen, sollen alle größeren Bauvorhaben schon bei der Vorplanung öffentlich diskutiert werden.
Damals hieß es im Gemeinderatsbeschluß:
"Ab 2015 wird die Stadt eine Vorhabenliste veröffentlichen mit Projekten, an denen gearbeitet wird oder die man angehen will." Und: "Bürgerbeteiligung fängt damit an, dass wir die Menschen über die Stadtpolitik informieren und sie nach ihren Wünschen und Ideen fragen. Es geht um das Gehörtwerden."
Dieses "Gehörtwerden" fehlt seit Jahren (fast) vollkommen, die Corona Pandemie mit ihren Einschränkungen der Öffentlichkeit ist da nur eine Ausrede. Einige Beispiele gefällig?
- Klinik Dr. Braun,
- Volksbank Campus,
- Bebauung St. Leonhardwiese,
- Bebauungsplan Fischerhäuser Vorstadt,
- Langgasse Haus der Vereine und Bebauung durch Investor
- Motorradstellplätze an diversen Standorten,
- Hotelplanung Zimmerwiese,
- Druckleitung Wasserkraftwerk,
- Umbau Hafenstraße,
- Verkehrskonzept zur LGS,
- Totalsperrung der Uferbereiche und Teilbereiche der Gräben,
- Beitritt von Überlingen zum Städteverbund "Sicherer Hafen"
- Solarthermieanlage mit riesigen Wasserspeichern unterhalb von Aufkirch
Lesen wir nochmals ganz genau die Worte der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, Frau Gisela Erler:
„Ich wünsche mir eine lebendigere Demokratie, an der alle beteiligt sind: Schüler, Eltern, Frauen und auch die Stimmlosen – dafür mache ich mich aktiv stark.“
Nachtrag
Im HalloÜ Ausgabe 26.11.2020, Seite 9, schreibt CDU Stadtrat Prof. Alexander Bruns (an der Uni Freiburg Professur für beispielsweise Handels- und Wirtschaftsrecht, Privatversicherungsrecht) einen Beitrag zum Thema Bürgerbeteiligung, Demokratie und Rechtsstaat, der reichlich "seltsam" erscheint. Aber gut, Kommunal- oder Verwaltungswissenschaften hat er ja auch nicht studiert. Er hält tatsächlich die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung über die gesetzlich geforderten Mindestmaßnahmen hinaus für rechtswidrig. Die Forderungen nach "gesetzeswidriger Ausgestaltung von Bau- und Planungsverfahren" seien geeignet, das Vertrauen in die Institutionen unseres Gemeinwesens zu erschüttern. Er schreibt tatsächlich: "Wenn von manchen immer wieder opponiert wird mit der Behauptung, man könne das auch anders machen, wenn man nur wolle, dann verkennt diese Kritik die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit."
Die Fraktionen LBU/Grüne und BÜB+, die seiner Meinung nach durch ihr Abstimmungsverhalten gegen den - seiner Meinung nach zulässigen - Abbruch der Gebäude Hafenstraße 16-18 gestimmt hatten, würden "unserer Stadt schaden."
Na ja, wenn er das so sieht. Viele Überlinger Bürger sehen das vermutlich anders.
2. Nachtrag
Der Satireblog "Satire-Senf" der Journalistin Karin Burger beschäftigt sich mit "bemerkenswerten" Ereignissen im kommunalen Bereich. Unseren BÜB+ Blog liest sie wohl regelmäßig. So ist ihr vermutlich unser Text zum HalloÜ Beitrag von CDU Stadtrat Prof. Bruns aufgefallen. "Heidewitzka" schreibt sie und kommentiert ihn treffend.