Bürgerbeteiligung, Bürgerdialog, mehr Bürgerbeteiligung, frühe Bürgerbeteiligung: Die Begriffe verwirren. Jeder versteht etwas anderes darunter, je nach Standpunkt. Die BÜB+ hat bereits 2019 im Kommunalwahlkampf ganz klare Forderungen gestellt nach mehr Öffentlichkeit und mehr Bürgerbeteiligung. Der Versuch einer Einordnung.
"Die Landesregierung macht Baden-Württemberg zum Musterland von lebendiger Demokratie und Bürgerbeteiligung. An unserer Demokratie sollen mehr Menschen teilhaben. Bürgerbeteiligung soll die Regel sein und nicht die Ausnahme."
Dieser Satz steht ganz zu Anfang einer Infoseite der Landesregierung. Baden-Württemberg hat als einziges Bundesland das Amt der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, das im Staatsministerium angesiedelt ist. Staatsrätin Gisela Erler ist Mitglied im Kabinett und hat die Anliegen der Zivilgesellschaft und die Stärkung der Bürgerbeteiligung im Blick.
Leider wird das in vielen Kommunen nicht so gelebt, auch nicht in Überlingen. Man zieht sich beispielsweise auf die gesetzlich geforderte "frühe Bürgerbeteiligung" bei Bebauungsplänen zurück, die man selbstverständlich einhält. Aber was bedeutet dieser eigentlich wohlklingende Begriff tatsächlich? Eben nur, dass man im Verfahren um einen bereits aufgestellten Bebauungsplan diesen offen legen muss, damit die Bürger Anregungen und Bedenken anbringen können. Also erst dann, wenn das Kind vielleicht längst in den Brunnen gefallen ist, wenn die grundsätzlichen Dinge bereits entschieden sind.
Das gipfelt dann auch mal so: Beim Bebauungsplan für die geplante Laserklinik Dr. Braun, die nicht nur von den direkten Anwohnern als maßlos überzogen und zu massiv gesehen wird, werden viele Bedenken und Anregungen von Bürgern eingereicht. Und wer prüft diese Eingaben dann, beantwortet sie? Man glaubt es kaum: Das vom Bauherren engagierte und bezahlte Planungsbüro! Wen wundert es da, dass alle Bedenken vom Tisch gewischt werden, einige lobende Zuschriften dagegen aber "dankbar" kommentiert werden? Das ist nicht das, was man sich unter der rechtlich verlangten "Abwägung" der Bedenken und Anregungen vorstellt!
"Bürgerdialog sei Verschwendung" von Steuergeldern, sagte im Sommer der Überlinger Baubürgermeister Längin, als es um eine echte Beteiligung der Bürger bei den Planungen in der Fischerhäuser Vorstadt ging.
Aus Sicht der Bürger ist eine frühe Bürgerbeteiligung ganz etwas anderes als eine reine Steuergeldverschwendung: Wie schon 2014 vom Gemeinderat beschlossen, dann aber vollkommen vergessen, sollen alle größeren Bauvorhaben schon bei der Vorplanung öffentlich diskutiert werden.
Damals hieß es im Gemeinderatsbeschluß:
"Ab 2015 wird die Stadt eine Vorhabenliste veröffentlichen mit Projekten, an denen gearbeitet wird oder die man angehen will." Und: "Bürgerbeteiligung fängt damit an, dass wir die Menschen über die Stadtpolitik informieren und sie nach ihren Wünschen und Ideen fragen. Es geht um das Gehörtwerden."
Dieses "Gehörtwerden" fehlt seit Jahren (fast) vollkommen, die Corona Pandemie mit ihren Einschränkungen der Öffentlichkeit ist da nur eine Ausrede. Einige Beispiele gefällig?
- Klinik Dr. Braun,
- Volksbank Campus,
- Bebauung St. Leonhardwiese,
- Bebauungsplan Fischerhäuser Vorstadt,
- Langgasse Haus der Vereine und Bebauung durch Investor
- Motorradstellplätze an diversen Standorten,
- Hotelplanung Zimmerwiese,
- Druckleitung Wasserkraftwerk,
- Umbau Hafenstraße,
- Verkehrskonzept zur LGS,
- Totalsperrung der Uferbereiche und Teilbereiche der Gräben,
- Beitritt von Überlingen zum Städteverbund "Sicherer Hafen"
- Solarthermieanlage mit riesigen Wasserspeichern unterhalb von Aufkirch
Lesen wir nochmals ganz genau die Worte der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung, Frau Gisela Erler:
„Ich wünsche mir eine lebendigere Demokratie, an der alle beteiligt sind: Schüler, Eltern, Frauen und auch die Stimmlosen – dafür mache ich mich aktiv stark.“
Nachtrag
Im HalloÜ Ausgabe 26.11.2020, Seite 9, schreibt CDU Stadtrat Prof. Alexander Bruns (an der Uni Freiburg Professur für beispielsweise Handels- und Wirtschaftsrecht, Privatversicherungsrecht) einen Beitrag zum Thema Bürgerbeteiligung, Demokratie und Rechtsstaat, der reichlich "seltsam" erscheint. Aber gut, Kommunal- oder Verwaltungswissenschaften hat er ja auch nicht studiert. Er hält tatsächlich die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung über die gesetzlich geforderten Mindestmaßnahmen hinaus für rechtswidrig. Die Forderungen nach "gesetzeswidriger Ausgestaltung von Bau- und Planungsverfahren" seien geeignet, das Vertrauen in die Institutionen unseres Gemeinwesens zu erschüttern. Er schreibt tatsächlich: "Wenn von manchen immer wieder opponiert wird mit der Behauptung, man könne das auch anders machen, wenn man nur wolle, dann verkennt diese Kritik die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit."
Die Fraktionen LBU/Grüne und BÜB+, die seiner Meinung nach durch ihr Abstimmungsverhalten gegen den - seiner Meinung nach zulässigen - Abbruch der Gebäude Hafenstraße 16-18 gestimmt hatten, würden "unserer Stadt schaden."
Na ja, wenn er das so sieht. Viele Überlinger Bürger sehen das vermutlich anders.
2. Nachtrag
Der Satireblog "Satire-Senf" der Journalistin Karin Burger beschäftigt sich mit "bemerkenswerten" Ereignissen im kommunalen Bereich. Unseren BÜB+ Blog liest sie wohl regelmäßig. So ist ihr vermutlich unser Text zum HalloÜ Beitrag von CDU Stadtrat Prof. Bruns aufgefallen. "Heidewitzka" schreibt sie und kommentiert ihn treffend.
Wir bekamen von einem Leser folgende Zuschrift mit der Bitte, ihn als Kommentar einzusetzen:
AntwortenLöschen"Ja, die Bürgerbeteiligung muss man sich anders vorstellen und die Liste
hier, wo sowas nicht optimal, sondern nur halbherzig und pflichtbeswusst
geschieht, ist lang in Überlingen.
In sofern obliegt es BÜB+ weiter Salz in die Wunde zu streuen. Vielleicht
begreifen andere GR's und natürlich der OB selbst, dass das Wort
Bürgerbeteiligung zu leben gewünscht wird, eben von vielen Bürger*innen
hier in ÜB.
Und richtig, SatireSenf ist als gut recherchierendes Medium auch hier nicht
untätig.
Viele Grüße"
GF
Als Kommentar veröffentlichte Zuschrift von MJ:
AntwortenLöschenLeider steht im Gemeinderat einzig die hier neue BÜB+ klar und verlässlich gegen die unter OBZ nochmals verstärkt selbstherrlich-respektlose Kompetenzüberschreitung einer Stadtverwaltung, die weiterhin in Lügenhaftigkeit und Mauschelei die Bürgerschaft hintergeht und (in Gesalt Längins und Zeitlers und gleichartig 'interessierter' Gemeinderäte) in Investoren begünstigendem Vorantreiben schädlicher Projekte städtisches Satzungsrecht und den klaren oder gar erklärten Bürgerwillen auch offen missachtet, mancher Äußerung nach sogar ver-achtet.
Gegen derlei koordinierte üble Machenschaften richtet die materiell ohnmächtige Öffentlichkeit im Einzelfall nichts aus, wie sich zB. vor einem Jahr im Fallrohrfall und nun auch im Fall Hafenstraße zeigte, wo Überlingen einer weiteren (völlig unnötigen!) Amputation im Gesunden bei vollem Bewusstsein entgegensieht und hier wieder eines Teils seiner Echtheit, Identität und vormaligen Schönheit beraubt wird - von Unversehrtheit kann leider schon lange nicht mehr die Rede sein.
Die Verantwortlichen können ja irgendwann locker einen Fehler einräumen und sich so ungerührt und unbeschadet aus der Affäre ziehen. Wenige Jahrzehnte rücksichtsloser Wirtschaftsförderung und aktiven Ausverkaufs werden die über 1000jährige Stadt dann so beschädigt haben, dass sie seelenlos erscheint und sowohl touristisches Interesse als auch das der Bevölkerung an Erhalt und Pflege im Ganzen verlieren könnte. Mit der LGS und ihrem ekelhaft dummen "Auf zu neuen Ufern" also endgültige Abkehr vom ehrwürdig alten Überlingen - unsere Nachfahren werden dem soviel Bewunderung für politische Weitsicht entgegenbringen wie wir Heutigen der (finanziell motivierten) Sprengung der letzten Heidenhöhlen vor 60 Jahren. Nach allem, was wir schon mit ihnen erleben mussten: OBZ und seine Getreuen (immer noch der halbe Gemeinderat) würden es heute wieder tun - natürlich mit ungebetenem und wieder abwegigen verfassungsrechtlichen Segen von Wirtschaftsrechtler CDU-Bruns!