Prof. Norbert Lammert: Demokratie ist nicht selbstverständlich |
Schon Anfang Mai 2019 lernten die Überlinger durch einen Vortrag von Oberbürgermeister Zeitler, welches Bürgerverhalten er als das beste für die Stadt sieht: "Wer ständig nach Harmonie strebt muss sich fragen lassen, ob Demokratie für ihn die richtige Staatsform ist." Aber er sagte auch, dass die Suche nach dem Besten Konfliktbereitschaft voraussetze. Und: Die Kritik (in dem Fall die des ADFC an der Fahrradsituation in Überlingen) lasse ihn kalt. Er sorgte sich, dass parlamentarische Entscheidungen immer öfters juristisch angegangen werden, die Petition als "letzter Notnagel" eingesetzt werde, um gegen Beschlüsse vorzugehen. Für seine Aussagen erntete Zeitler viel Kritik, die BÜB+ sah ein "merkwürdiges Demokratieverständnis.
Aber er hat nichts dazu gelernt: Im feierlichen Festakt zur 1250 Jahrfeier setze er in seiner Bürgerschelte noch einen oben drauf. Kritische Bürger - womit er wohl auch kritische Gemeinderäte meint - seien Verhinderer, die sich kontraproduktiv für eine Weiterentwicklung der Stadt verhielten. "Sie rauben Zukunftschancen!" Abermals prangerte er Bürger an, die sich juristisch oder per Petition gegen Entscheidungen zur Wehr setzen.
Welch ein Widerspruch!
Auf der einen Seite meint er, Demokratie ist nur etwas für Harmoniesüchtige, andererseits kritisiert er den Dissens, den Widerspruch von Bürgern. Herr Oberbürgermeister: Nur von der Diskussion, vom Ringen um "das Beste", lebt die Demokratie! Schon der alte griechische Begriff "Demokratie" sagt: Die Macht geht vom Volk aus. Wen wundert es, wenn von Bürgern Beschlüsse hinterfragt und angefochten werden, wenn sie vorher nicht informiert, nicht einbezogen waren? Warum wurden die Anwohner im Bereich der geplanten Laserklinik nicht vorher informiert und beteiligt, warum hat niemand die Überlinger Bürger gefragt, ob ihnen ein 24 Meter hoher Koloss direkt an der Lippertsreuterstraße so gefällt? Warum wurde die Verfüllung des Druckrohres zum Wasserkraftwerk nichtöffentlich, ohne jede vorherige Bürgerinformation beschlossen? Und ganz aktuell: Warum wurde wieder nur nichtöffentlich ein Planungskonzept für ein großes Hotelprojekt an der Zimmerwiese vorgestellt? Werden so nicht schon wieder Konflikte provoziert, Klagen und Petitionen unvermeidlich sein? Wann lernen die Verwaltung und auch Teile des Gemeinderates, dass nur eine frühzeitige Bürgerinformation und -beteiligung zum "Besten für die Stadt" der richtige Weg sein kann? Wer Klagen und Petitionen verhindern will, muss frühzeitig bereit sein, den Kompromiss zu suchen, mit dem dann hoffentlich alle leben können.
Vier Gewalten
Die Demokratie baut auf die Gewaltenteilung: Die Gesetzgebung, die ausführende Gewalt und die Rechtsprechung. Jeder Bürger hat das Recht, sich gegen seiner Meinung nach falsche Entscheidungen an übergeordnete Behörden und an die Presse zu wenden, oder sich juristisch zur Wehr zu setzen. So sagt es unser Grundgesetz. Auch, wenn das für Herrschende vielleicht störend und lästig ist: Wer Bürger dafür maßregelt, muss sich selbst ein seltsames Demokratieverständnis vorwerfen lassen.
Und jetzt kommt die vierte Gewalt ins Spiel: Die freie unabhängige Presse, die Bundestagspräsident a.D Norbert Lammert in seiner begeisternden Ansprache ausdrücklich lobte. Einen Beweis lieferte Südkurierredakteur Stefan Hilser mit seinem Kommentar zu OB Zeitlers Thesen: "Damit postuliert Zeitler ein Demokratieverständnis, das einem Stadtoberhaupt nicht angemessen ist. Überlingen stände 2020 garantiert nicht so phantastisch da, wenn Kritik an Entscheidern verboten wäre!" In einem autokratischem Staat ohne Pressefreiheit würde Hilser dafür jetzt vermutlich eingesperrt werden.
Subsidiarität: Von unten nach oben
Im vollbesetzen Münster sprach Ministerpräsident a.D. Erwin Teufel während des ökumenischen Gottesdienstes zum Auftakt der 1250 Jahrfeier über die "Subsidiarität". Den Begriff definierte er so: "Nicht nur wichtige Entscheidungen müssen von unten nach oben entschieden werden, beginnend beim Bürger." Was sehr nach dem Leitbild der BÜB+ klingt, dem Zitat des ersten deutschen Bundespräsidenten Theodor Heuss: "Die Gemeinde ist wichtiger als der Staat, und das Wichtigste in der Gemeinde sind die Bürger!"Ein Blick nach Sipplingen
zeigt, wie deutlich anders als von OB Jan Zeitler die Notwendigkeit von Bürgerinformation und-beteiligung vom dortigen Bürgermeister Oliver Gortat gesehen wird: „Nur informierte Bürgerinnen und Bürger können sich eine fundierte Meinung bilden, ihr Wissen und ihre Kompetenzen einbringen und kritische Fragen stellen. Aber auch Verwaltung und Gemeinderat brauchen diesen Dialog, um ihre Argumente zu prüfen, um Stimmungen aufzunehmen, um zum ständigen Austausch mit der Bürgerschaft zu gelangen." (Quelle: SÜDKURIER vom 13.1.2020)
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