Mittwoch, 11. Januar 2023

Bürgerbeteiligung?

Am 8. Januar hatte OB Jan Zeitler zum Neujahrsempfang für alle Bürger in den Kursaal eingeladen, nachdem er bereits am Abend des 5. Januar ausgesuchte geladene Gäste beim Dreikönigstrunk im Pfarrsaal (früher traditionell im historischen Ratssaal) begrüßt hatte. Der SÜDKURIER berichtete über den Bürgerempfang.

(C) Foto: SÜDKURIER
Der SÜDKURIER (Link)  titelt den Bericht: "Beim Bürgerempfang bleiben viele Plätze leer". Wo früher die Sitzplätze nicht ausreichten, zeigten sich in diesem Jahr große Lücken in den Reihen. Und das, obwohl der Bürgerempfang nach zwei Jahren Coronapause doch eigentlich hätte gestürmt werden müssen. Woran mag das liegen?

Die Überlinger Bürger sind eigentlich sehr aktiv, interessieren und engagieren sich oft und gerne für lokalpolitische Themen, wollen mitreden. Wir erinnern uns, wofür oder auch wogegen die Bürger sich in den vergangenen zwei Jahren eingesetzt hatten:

  • Der Bebauungsplan Fischerhäuser Vorstadt gefällt weder den Anwohnern noch den Bürgern
  • Das geplante Medicum Ärztehaus mit Gewerbeflächen an der Aufkircherstraße ist den Bürgern viel zu massiv
  • Es gab die vergebliche Petition, verpflichtend Stangengerüste für große Bauvorhaben einzuführen
  • Anwohner und Bürger wollen den Rauensteinpark unangetastet lassen
  • Die Hotelplanung an der Zimmerwiese erscheint vielen viel zu groß, zudem überflüssig 
  • Bürger wehrten sich - teilweise erfolgreich - gegen die riesigen Wasserspeicher unterhalb von Aufkirch, lehnten aber vergeblich die Nutzung von wertvollem Ackerland für Solaranlagen ab
  • Gegen den Bebauungsplan auf dem Gelände der Kleingärten und im Landschaftspark St. Leonhard mehren sich kritische Stimmen
  • Gegen die Verfüllung des Wasserdruckrohres vom Andele zum Wasserkraftwerk wehrten sich Bürger und ein neugegründeter Verein "Bürgerenergie" vergeblich
  • Bürger und Anwohner verhinderten mit Protesten die zu massive Bebauung samt Hochhaus auf dem Telekom Gelände an der Langgasse

In allen Fällen wurden berechtigte Forderungen nach einer richtigen Bürgerbeteiligung nicht erfüllt. Bei Bebauungsplänen verwies man lapidar auf die "gesetzliche Bürgerbeteiligung" im Verfahren: Im Fall Rauensteinpark waren es über 150 Bürger, die ihre Bedenken schrieben. Nahezu alle wurden mit dem Vermerk "Zur Kenntnis genommen" abgebügelt. Eine echte Bürgerbeteiligung, wie es sogar unter Frau Becker als Oberbürgermeisterin z.B. im Fall der geplanten Abholzung aller Bäume an der Promenade noch möglich war, gibt es nicht.

Vor Jahren las ich ein sehr gutes Buch von Edgar K. Geffroy, das sich mit dem Verhältnis Handel zum Kunden beschäftigt: "Das Einzige, was stört, ist der Kunde". In Überlingen könnte man meinen, dass dieses Buch mit einem geänderten Titel perfekt hierher passen würde: "Das einzige was stört, ist der Bürger". Fast schon bezeichnend daher der Schlußsatz von OB Zeitler in seiner Ansprache:  "Die Summe der Einzelinteressen ergibt nicht das Gemeinwohl , sondern Chaos !" Der Satz wird nicht besser, wenn man den Urheber weiß: Der frühere OB von Stuttgart, Manfred Rommel, sagte ihn einst. Auch er hatte vermutlich mit Bürgern zu kämpfen, die - vermeintlich! - nur ihre Einzelinteressen vertreten. Von Rommel stammt aber auch dieses Zitat: „Zwei Dinge sind in der Verwaltung zu lernen: Erstens: lerne zu unterschreiben, ohne zu lesen. Zweitens: lerne zu reden, ohne zu denken.“

Womit ich wieder beim Bürgerempfang und dem fast peinlich schlechten Besuch angelangt bin. Es genügt einfach nicht, wenn die Bürger von OB und Verwaltung ein Mal im Jahr zu einem Empfang mit Wein, Häppchen und Smalltalk eingeladen werden, nur um eine Erfolgsgeschichte der Verwaltung und einen mehr oder weniger spannenden Vortrag eines Gastredners anzuhören. Warum soll man da hingehen, wenn man sonst als Bürger eher nicht wirklich angehört wird?

Im März soll es tatsächlich eine Bürgerinformation zur Zukunft des Kramergeländes geben. Reine Information aber genügt nicht! Die Bürger wollen beteiligt werden. Und das immer und nicht nur im Vorfeld von Kommunal- und OB Wahlen. Daher sehr lobenswert die Aktivitäten der neuen Überlinger Klimamanagerin Melissa Siegl: Am 26. Januar lädt sie die Bürger ins Feuerwehrhaus zur "Klimawerkstatt" ein.  Sie wird ihre Arbeit vorstellen, jeder Bürger soll mit seinen Ideen zu Wort kommen! Bravo!

Dirk Diestel


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Liebe Leser, hier können Sie gerne einen Kommentar zu unserem Beitrag hinterlassen. Bitte schreiben Sie mit Ihrem Klarnamen. Unsachliche anonyme Beiträge oder persönliche Angriffe werden nicht veröffentlicht.