Freitag, 23. Oktober 2020

Der §1 des Grundgesetzes

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Nach weitverbreiteter Vorstellung ist Deutschland ein Sozialstaat, in dem der Staat dafür Sorge trägt, dass kein Mensch unter einem menschenwürdigen Existenzminimum oder unter menschenunwürdigen Bedingungen leben muss. Leider trifft dies nicht immer zu.

Auch im wohlhabenden Überlingen müssen Menschen unter unzumutbaren (ja, man kann sagen: unter menschenunwürdigen) Bedingungen leben. Die Stadt hat unmittelbar an der Überlinger Müllumladestation (offiziell auch "Entsorgungszentrum" genannt) Füllenwaid mehrere Baracken, die als "Notunterkünfte" dienen sollen. Die, laut Definition von OB Jan Zeitler, obdachlosen Personen "kurzfristig Erfrierungsschutz" bieten sollen, mehr nicht. Das Problem: Für viele dieser Personen bedeutet "kurzfristig" bereits jahrelang. Eine der langjährigen Bewohnerinnen, einst unverschuldet samt ihren zwei minderjährigen schulpflichtigen Kindern in die Obdachlosigkeit gerutscht, lud kürzlich unsere BÜB+ Stadträtin Kristin Müller-Hausser zu einem Gespräch ein. Auch die Südkurier Mitarbeiterin Stef Manzini kam hinzu, sie hatte schon mehrfach über die Zustände in den Baracken berichtet.

Der erschütternde, aufrüttelnde Artikel von ihr erschien am 20.10. in der Zeitung, er ist auch online verfügbar. Die Bewohnerin lebt nun seit vier Jahren dort auf 6qm (2x3 Meter!) Fläche, selbst nach dem kürzlichen Tod ihres Lebenspartners in ihrem Zimmer wurde ihr nicht erlaubt, den für sie extrem bedrückenden Wohnraum zu wechseln. Eine psychologische Betreuung oder gar eine aktive Unterstützung, um wieder sozial integriert zu werden, gibt es in dieser Notunterkunft nicht: Die Verantwortung wird zwischen Stadt und Landratsamt hin- und hergeschoben. Also passiert nichts, Frau Müller-Hausser nennt es "Ignoranz und Verschiebungen der Zuständigkeiten zwischen Überlingen und Friedrichshafen".

"Schönheitspflaster"

nennt Kristin Müller-Hausser die aktuell durchgeführten Sanierungsarbeiten an den Baracken. Für menschenwürdige Betten und Matratzen sorgten kürzlich bereits Kristin Müller-Hausser und das Überlinger Bettenhaus Held und Menke. Und neu installierte Fenster halten vielleicht etwas Kälte draußen, mindert aber nicht die Kälte der Behandlung durch Stadt und Kreis. Dabei könnte es so einfach sein, wenn man nur will:  
Die Stadt Überlingen hat eine "Zweckentfremdungssatzung" für Wohnraum. In Überlingen stehen sehr viele Wohnungen seit langem leer, so beispielsweise auch die früheren Werkswohnungen der Fa. Kramer. Es gibt eine rechtliche Handhabe, die von einem Eigentümer gewollte Zweckentfremung durch das sog. Wohnnutzungsgebot zu beenden und durch Bußgelder durchzusetzen. Damit könnte bedürftigen Menschen ein menschenwürdiges Zuhause verschafft werden. Wenn man es will, gibt es auch Wege.

Ohne unsere Hilfe kommen die Menschen aus dem sozialen Teufelskreis und aus den Baracken bei der Müllentsorgung nicht mehr heraus.

"Unsere Stadt Überlingen, die so viele gute Seiten zeigt, lässt auf der anderen diese Menschen im Abseits und bitterer Verzweiflung stehen. Wir sollten dieses Problem aus christlicher Nächstenliebe gemeinsam bewältigen."
Dieser Meinung sind die BÜB+ Stadträtin Kristin Müller-Hausser, ihre Stadtratskollegen Roland Biniossek und Dirk Diestel

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